Jiuzhaigou und Huanglong im Nordwesten der Provinz Sichuan gelegen, hatten mich schon früh fasziniert. Es sind ganz aussergewöhnlich schöne und bezaubernde Landschaften. Seit ich anfangs Mai 2004 das erste Mal in Jiuzhaigou und Huanglong war, hat mich diese Gegend in ihren Bann gezogen. Unser erster Besuch mit einer Reisegruppe im Oktober 2006 hat mich dann allerdings sehr viele Nerven gekostet und war schwierig. Uns wurde deutlich, wie sehr, gerade dort oben, andere Faktoren das Erlebnis in positiver wie negativer Hinsicht beeinflussen können. So erlebten wir damals den Tiefpunkt in Sachen Reiseführer genau an jener Destination. Das Hotel war unter unserem Standard. Aber am schlimmsten waren die Menschenmassen, vor allem in Huanglong, wo man sich kaum bewegen konnte.
So liessen wir diese Destination seither auf der Seite, aber mich hat sie nicht mehr losgelassen. Ich selber ging trotzdem wieder hin und plante nun für diese Reise 2018 eine Neuauflage der Destination. Die Probleme begannen jedoch früh: Jiuzhaigou sei aufgrund des Erdbebens (Stärke 6.5) vom 8. August 2017 bis auf Weiteres geschlossen, so dass wir uns einen Plan B mit einer ähnlichen Landschaft ganz in der Nähe zurechtlegten. Überraschend kam die Mitteilung, der Park sei nun doch bereits wieder offen, wenn auch nur für Gruppen. Die Besucherzahl sei stark limitiert auf 2'000 pro Tag und es könnten nur einige Punkte angefahren werden. Plötzlich konnten wir aber auch keine Flüge mehr buchen, obwohl der Flughafen weit vom Epizentrum weg liegt. Es blieb von daher nur eine stundenlange Busfahrt ab Chengdu. Huanglong, ca. 2 Busstunden von Jiuzhaigou entfernt, unterlag hingegen keinen Einschränkungen, weil es vom Erdbeben nicht beeinträchtigt worden war.
So konnten wir also mit wenig Besuchern rechnen, ohne jedoch zu wissen, was wir genau in Jiuzhaigou antreffen würden und sehen könnten. Irgendwann musste ich mich entscheiden und ich entschied mich FÜR den Besuch. Als wir dort dann in der Realität eintrafen, war es schon ein wenig gespenstisch. Jiuzhaigou ist eine riesige Baustelle. Die Hauptstrasse dahin ist - mit ganz wenigen Ausnahmen - allerdings bereits wieder in gutem Zustand. Unser Hotel war ein erst 2017 fertiggestelltes Fünfsternehotel, welches unversehrt geblieben war. Offenbar wurde es nach neusten Erdbebenstandards gebaut und hielt deshalb stand. Daneben gab es aber diverse stark beschädigte Gebäude oder auch Gebäude, die man wohl abgerissen hatte, weil darauf gleich ein Neubau entstand.
Wir alle fragten uns, was wir wohl im Park selber zu sehen bekommen würden. Am nächsten morgen fuhren wir vom Eingang des Parks mit einem offiziellen Bus zu einer der Nummer 1-Attraktionen im Park: Dem Nuorilang-Wasserfall. Jiuzhaigou ist geformt wie ein Ypsilon. Dort, wo sich die beiden Äste treffen, steht der vorgenannte Wasserfall. Bereits beim Hochfahren (Jiuzhaigou geht hinauf bis weit über 3000 m hinauf) sahen wir einen vollkommen entleerten See, weil die natürliche Staumauer durch das Erdbeben zerstört worden war. Es war klar, dass wir in der "low season" nicht mit denselben Wassermengen rechnen konnten wie im Herbst. Aber es war offenbar viel schlimmer als üblich: Der Nuorilang-Wasserfall, sonst 270 m breit und 24.5 m hoch, war zum einen durch das Erdbeben deutlich beeinträchtigt und zum andern lief kaum Wasser über den berühmten Wasserfall. Die Trockenheit war extrem. Wer sich meine Bilder von anfangs Mai 2004 einmal ansieht, also nur drei Wochen später als wir nun in diesem Jahr unterwegs waren, wird einen eklatanten Unterschied feststellen. Der Wasserfall war insofern also eine echte Enttäuschung, für diejenigen wie mich, welche den Wasserfall schon einige Male gesehen haben, noch mehr als für die anderen. Zudem fragte ich mich als Verantwortlicher, ob meine Entscheidung, trotzdem hierher zu kommen, richtig war.
Wir konnten auch nicht gross wandern, weil viele Stege noch instand gestellt werden müssen. Bis alles wieder sei, wie es war, werde es noch drei Jahre dauern. Das nächste Ziel im Park, der Spiegelsee, versöhnte aber doch bereits ein wenig, weil die Leute dort einen ersten Eindruck bekommen haben, warum Jiuzhaigou so berühmt war (ist). Beim nächsten See waren auch keine Beeinträchtigungen festzustellen. Wir hatten Prachtswetter. Trotzdem sagte ich zu Jürg, dass ich als Fotgrafierender schon noch ein paar Wünsche offen hätte. Darauf meinte Jürg in seiner üblichen, trockenen Art: "Es könnte ja auch regnen!" Manchmal wirkt so ein kleiner Schlag auf den Hinterkopf wahre Wunder, denn ich musste schmunzeln und sagte zu ihm: "You made my day."
Im Laufe des Tages wurden dann die angefahrenen Punkte immer besser und man konnte auch mal etwas weiter spazieren. Die Seenlandschaft beim Shengcun-Dorf ist intakt geblieben und war so schön wie eh und je. Insofern machten wir einen Steigerungslauf, der dann durch den Besuch eines buddhistischen Tempels kurz vor dem Parkausgang abgerundet worden ist.
Ich denke, es hat sich trotzdem gelohnt. Das Wetter war ein Traum und die Anzahl Touristen natürlich extrem niedrig. Die Schönheit von Jiuzhaigou ist immer noch da, auch wenn die Beeinträchtigungen da und dort gross sind. Aber man muss vielleicht ein bisschen mehr Suchen als sonst. Das ist ja auch nicht so schlecht.