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Wushu Akademie Schweiz
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Inverview mit Lisa Derendinger und Jehmsei Keo

Ein Gespräch über ihre Wushu-Anfänge, Highlights und die Zukunftsaussichten.

Lisa Derendinger aus Oberentfelden hat 2014 nach der Europameisterschaft in Bukarest, welche sie mit einer Bronzemedaille im Speer hat abschliessen können, erklärt, sie brauche mal eine längere Pause. Mittlerweile haben wir das als ihren Rücktritt vom Wettkampfsport interpretiert, denn als Trainerin ist sie ja - zum Glück - immer noch tätig. Jehmsei Keo aus Brugg hat jüngst, unmittelbar nach der Weltmeisterschaft in Jakarta von Mitte November 2015, welche er mit starken Resultaten beendete, seinen Rücktritt vom Wettkampf-Wushu erklärt. So fehlte er an den Schweizer Meisterschaften von Ende November in Bazenheid. Wir fanden, es sei nun an der Zeit, mit ihnen ein ausführliches Interview über ihre Wushu-Zeit zu führen. Die im Text verwendeten Fotos wurden in der Alten Bürsti in Oberentfelden aufgenommen. Ich habe realtiv viel an den Bildern gearbeitet, will heissen, an einigen Parametern herumgeschraubt. Sowohl die Beiden als auch die wunderschöne Wand als Hintergrund, die wir dort vorfanden, haben mich dazu inspiriert. Ich hoffe, die Bilder gefallen.

Lisa, wo stehst du aktuell in deinem Leben?
Lisa: Seit 1 1/2 Jahren studiere ich an der Pädagogischen Fachhochschule in Brugg. Bis zum Abschluss als Primarlehrerin bleiben nochmals 1 1/2 Jahre. Daneben arbeite ich in einem Shop für Outdoor-Bekleidung in Aarau und gebe ja mittlerweile auch wieder regelmässig Unterricht an der WAK. Es ist gut möglich, dass ich nach dem Bachelor gleich noch weitermache bis zur Oberstufenlehrerin. Aber das ist jetzt natürlich noch offen. Auf jeden Fall ist mein Leben damit sehr ausgefüllt.

Und du Jehmsei, was machst du gerade?
Jehmsei: Ich habe eigentlich soeben einen grossen Abschnitt meines Lebens beendet, indem ich die Wettkampfkarriere abgeschlossen habe. Für mich war das die letzten 10 Jahre ein ganz bestimmender Faktor in meinem Leben. Die Luft war jetzt etwas draussen und ich fand, die Jungen sollten ran. Zu-dem steht nun logischerweise der berufliche Weg immer klarer im Fokus. Das Training allerdings wird mich weiterhin begleiten, da ich ja die Fördergruppe(n) weiterhin unterrichte. Aber die jahrelange Doppelrolle als Athlet und Trainer wird es nicht mehr geben. Ich beginne im Februar nun eine neue Stelle im Bereich Marketing und Kommunikation beim ASK, der Berufs- und Laufbahnberatung des Kantons Aargau.

Lisa, du hast Jahrgang 1993 und hast im August 2002 bei uns mit dem Training begonnen. Was sind die Erinnerungen an deine Wushu-Anfänge?
Lisa: Ich weiss noch, dass mein Bruder und mein Cousin schon trainierten und ich sehr gerne auch mit Wushu begonnen hätte. Aber damals habt ihr Kinder ja erst ab neun Jahren genommen (Anm. der Redaktion: Unser 1. Kinderkurs für Kinder ab fünf war im Oktober 2005). So musste ich noch warten, bis ich endlich ins Training durfte. Ich war also wirklich "Spass getrieben", aber relativ rasch wurde die Sache ernsthafter und intensiver. Bald kamen der erste Wettkampf und die Show am Jugendfest in Kölliken. Bereits zwei Jahre später flog ich ja mit meinen Kolleginnen Melanie und Rebecca für 10 Wochen nach China ins Training (Anm. der Redaktion: wobei die beiden Kolleginnen plangemäss nach vier Wochen wieder nach Hause gingen und Lisa alleine da verblieb, allerdings relativ bald vor Ort unterstützt von der Mutter). Noch vorher, also mit elf Jahren, konnte ich bereits das freie Rad. Michi (Anm. der Redaktion: Michi Totzke war schon damals zuständig für die freien Räder...) setzte alles daran, dass ich das noch vorher lerne. Ich erinnere mich gerne an diese Anfangszeit. Melanie kam mit dem Fahrrad von Kölliken und so fuhren wir ab Oberentfelden gemeinsam ins Training. Dabei motivierten wir uns gegenseitig, wenn wir mal wieder früher aus der Badi mussten, weil eben das Training rief. Es war eine lässige Zeit mit all den Kolleginnen, Rebecca, Melanie, Saskia und wie sie alle hiessen.

Jehmsei, dein Jahrgang ist 1987 und du hast im März 2002 begonnen, bei uns deine Spuren zu hinterlassen. Wie sah der Anfang bei dir aus?
Jehmsei:
Bei mir war der Anfang natürlich anders, weil ich mit 14 ja direkt bei den Erwachsenen begann. Aber für mich war das gut so, weil ich da sehr schnell seriöses Trainieren kennenlernte und auch einige Erwachsene vor mir hatte, die schon lange dabei waren. Sehr imponiert hat mir dabei immer Leo (Anm. der Redaktion: Lisa warf da ein, dass dies bei ihr Bea gewesen sei, von der sie Schwert gelernt habe. So hatte auch sie ihr Vorbild.). Er kam kurz nachdem ich begonnen hatte von seinem ersten Chinajahr zurück und ich war sehr beeindruckt von seinem Können. Mir hat dieser Einstieg in einer gemischten Gruppe Erwachsener von ganz Guten bis zu solchen, die noch viel Arbeit vor sich hatten, ausserordentlich gut gefallen. Ich bin ja von Brugg und mein Bruder hat viel früher schon mal bei Charlie trainiert, als es diesen Kinderkurs in Brugg noch gab. Dann ging mein Bruder an die Kanti und er-zählte mir von seinem Klassenkameraden Matthias Storz, der soeben Wushu-Schweizermeister geworden war. Das war dann der Punkt, an dem ich sagte, so, jetzt gehe ich auch mal schauen. Die Geschichte ist bekannt: Ich kam und blieb.

Ihr seid beide im September 2005 in unsere erste Fördergruppe unter Lehrer Fan Qiang aus Xi'an aufgenommen worden? Wie habt ihr die Jahre mit ihm in Erinnerung?
Lisa:
Den Übergang weiss ich gar nicht mehr so recht, aber ich erinnere mich gut an die Trainings mit Lehrer Fan. Heute glaube ich, auch deshalb dermassen viel von ihm profitiert zu haben, weil er zu Beginn kein Deutsch konnte. Es war nicht möglich, mit ihm verbal zu kommunizieren. Ich war gezwungen, alles visuell und auch möglichst schnell aufzunehmen. Er hat Dinge nicht x-Mal vorgezeigt. Darum war zuschauen noch wichtiger als sonst schon im Wushu-Training. Er hat sich ja auch einmal bei dir, Wisi, beschwert, dass ihn nicht alle in der Fördergruppe angesehen haben, wenn er etwas erklärte. Ihm war das wichtig, wie überhaupt der Respekt vor ihm als Lehrer. Ich empfand das immer sehr positiv.
Jehmsei: Ich denke, das ist dann der Teil des Trainings, der zum Thema "Lebensschulung" gehört und auf den wir später noch zurückkommen werden. Ich war einfach stolz, dass ich da aufgenommen worden bin. Ich sehe bei den Kindern von heute, dass dies immer noch so ist. Aber es soll natürlich nicht nur ein Statussymbol sein, denn es ist ja auch eine Verpflichtung, jetzt noch mehr zu trainieren als vorher. Ab jetzt war es irgendwie klar, dass es eine Gruppe derjenigen gibt, die speziell gefördert werden. Mir hat das unglaublich viel gebracht und obwohl ich ja einige Trainer in meiner Laufbahn hatte, hat mich keiner so geprägt wie Fan Qiang. Vor allem auf die Art, wie ich mich bewege, hat er einen massgeblichen Einfluss gehabt.

Jehmseis erster grosser internationaler Wettkampf war die Wushu-EM 2006 in Italien, derjenige von Lisa 2007 an der Weltmeisterschaft in Beijing (wo Jehmsei natürlich auch teilgenommen hat). Wenn ihr jetzt so zurückblickt, wie hat sich das Wettkampfwushu seit dieser Zeit entwickelt?
Lisa:
Ich glaube, da kann Jehmsei mehr dazu sagen, denn bei meinen ersten grossen Wettkämpfen, war ich dermassen nervös, am Rande der Überforderung, dass ich genug mit mir zu tun hatte, als dass ich noch gross hätte schauen können, was sonst um mich abging.
Jehmsei: Ich war von Beginn weg ein sehr interessierter Beobachter und habe mir alles auch online angeschaut. 2007 gab es erstmals Nandus (Anm. der Redaktion: Schwierigkeitsgrade) in den waffenlosen Formen. Das war eine der grossen Neuheiten, welche sich heute in allen Formen durchgesetzt hat. Sicherlich ist es heute so, dass alle Athleten über eine Top-Physis verfügen. Fan Qiang z.B. war sehr viel filigraner als heutige Athleten. Zu seiner Zeit gab es eben noch keine Nandus. Heute braucht man, nebst der richtigen Technik und grosser Sprungkraft, auch einfach sehr viel Muskelmasse, um z.B. einen Sprung xuan-feng-jiao 720° in mabu auffangen zu können. Das erscheint mir der grösste Unterschied.

Lisa, du hast mit 15 eher überraschend an den Europameisterschaften 2008 in Polen zwei Mal Bronze gewonnen (und dabei dem Schulleiter in Unterentfelden die Freudentränen in die Augen getrieben...). Wie hast du diese Tage erlebt?
Lisa:
Ich weiss noch, dass mir die erste Form Changquan nicht allzu gut gelungen ist, als ich mich bei einer Sprungkombination den Fuss übertreten habe. Auch in Polen - es war ja erst mein zweiter grosser Wettkampf und ich erst 15 - war ich noch extrem nervös und war von all den andern Athletinnen tief beeindruckt. Ich wollte kaum auf den Teppich, um mich aufzuwärmen, weil die mir alle so gut erschienen. Ich wollte mich denen nicht zeigen und verstand noch nicht, dass die ja auch nervös sind und dass es dann im Wettkampf meist etwas anders aussieht als hier beim Aufwärmen. Aber so weit gingen meine Gedanken noch nicht. So ging ich ohne grosse Ambitionen in meine weiteren Wettkämpfe und realisierte danach auch nicht, dass ich eine Medaille gewonnen hatte. Erst als unser Coach, Urs Nussbaumer, nach dem Schwert-Wettkampf auf mich zukam und sagte, "he, hast du schon mal auf die Rangliste geschaut?", realisierte ich, dass ich eine Medaille gewonnen hatte. Am nächsten Tag kam dann doch tatsächlich noch die Bronzemedaille im Speer dazu.

Lisa, du bist mit 22 für eine Wushu-Athletin immer noch jung. War das denn im letzten Jahr nun tatsächlich dein Rücktritt? Denn im Gegensatz zu Jehmsei hast du deinen Rücktritt noch nie öffentlich erklärt.
Lisa:
Für mich war das im letzten Jahr schon so etwas wie ein Abschluss. Ich konnte mir einfach nicht mehr vorstellen, weiterhin so oft und so intensiv zu trainieren. Zudem begann mein Studium, so dass für mich zumindest eine längere Pause klar war. Dann habe ich aber während der letzten WM im November 2015 in Jakarta, an der es ja einen Livestream gab, immer mal wieder reingeschaut und ja, ich gebe zu, es hat mich sehr angemacht, es nochmals zu versuchen. Auf der andern Seite muss das eben schon gut überlegt sein, denn einfach ein bisschen trainieren, käme dann nicht in Frage. Es müsste ernsthaft sein, mit dem klaren Ziel der WM 2017. Allerdings habe ich grossen Respekt vor dem dazu notwendigen Zeitaufwand, neben meinem Studium und auch davor, dass mein Kopf ja im letzten Jahr einfach nicht mehr mochte. Das möchte ich nicht mehr erleben. Von daher ja und nein. Wir werden sehen...
Jehmsei bot sofort seine Unterstützung an, falls sie sich doch noch in diese Richtung entscheiden würde. Er würde sehr gerne mit ihr auf diese Ziele hinarbeiten und wäre bereit, mit ihr zusammen einen Plan aufzustellen. Lassen wir uns also überraschen.

Jehmsei, du bist als Athletenvertreter schon einige Zeit im Vorstand von swisswushu. Wie nimmst du den Verband wahr? Was würdest du dir als Athlet allenfalls noch wünschen?
Jehmsei:
Ich glaube, dem Verband würde nochmals eine Blutauffrischung gut tun. Leider passieren noch zu viele Fehler aber ich hoffe, dass wir aus diesen Fehlern lernen. Das ist vorerst mal das Wichtigste. Als Athlet wünschte ich mir professionellere Strukturen im Verband und auch gelebte Fairness, d.h. dass Vorschriften, wenn sie mal niedergeschrieben sind, dann auch für alle ausnahmslos gelten. Wenn Geld vorhanden ist, frage ich mich stets, womit kann man mit diesem Geld dem Verband und den angeschlossenen Schulen am meisten dienen. Leider glaube ich, dass wir das vorhandene Geld nicht immer optimal in diesem Sinne eingesetzt haben. Aber das ist letztlich meine persönliche Meinung.

Jehmsei, du wirst dich nun hauptsächlich dem Traineramt als Trainer der Fördergruppe widmen. Warum sollte ein Kind oder ein Jugendlicher aus deiner Sicht heutzutage mit Wushu beginnen?
Jehmsei:
Für mich steht Wushu als Lebensschulung im Mittelpunkt. Wenn man über eine lange Zeit so einen Sport gemacht hat, dann kann das einen Menschen nur positiv beeinflussen. Ich erlebe das ja auch immer wieder in meinen Bewerbungsgesprächen, wenn der potentielle Arbeitgeber dann sagt: "Sie haben das so lange gemacht. Sie sind sicherlich super diszipliniert." Das ist auf jeden Fall ein Pluspunkt. Kürzlich habe ich einen ehemaligen Unterentfeldner Lehrer getroffen, der mir sagte: "Weisst du, wir haben das immer sehr bewundert, diese ganze Disziplin von euch." Ich sagte ihm dann nur, dass dies bei uns eigentlich der Standard sei. Ich selber strebe das auf jeden Fall in meinen Trainingsgruppen ebenfalls an und störe mich manchmal nur schon, wenn die jungen AthletInnen flüstern. Weiter kann man sagen, dass wer Wushu lange trainiert, als Sportler wirklich bereit ist. Man trainiert so viele Dinge - insbesondere die Koordination ist ein Schwerpunkt - da stehen wir meiner Meinung nach über vielen Sportarten. Selbst Kinder, die koordinativ untalentiert sind, können vom Wushu enorm profitieren. Dies alles gibt den Kindern auch Selbstvertrauen. Man kann sich im Wushu also auf verschiedenen Ebenen als Mensch entwickeln.

Jehmsei, du warst bei uns im Training stets als derjenige bekannt, welcher am meisten Extraschichten geleistet hat. Dein Trainingsfleiss ist legendär. Was hat dich angetrieben? Warum gefiel und gefällt dir Wushu so sehr?
Jehmsei:
Ich weiss nicht, wie viel es mit meiner kambodschanischen Herkunft zu tun hat, obwohl ich in der Schweiz geboren worden bin. Aber von meinen Eltern weiss ich natürlich, wie es für sie früher war, als sie vor dem Krieg flüchten mussten. Meine Einstellung war vom ersten Training an, dass ich geschafft aus der Halle laufen wollte. Fehlte dieses Gefühl, dann hatte ich den Eindruck, dass irgendetwas nicht stimmt. Das Training ist immer so anstrengend, wie man es sich selber macht. Deshalb stand ich beim Grundschultraining in den Linien sehr rasch zuvorderst, weil ich dann meinen eigenen Rhythmus gehen konnte. Mir haben aber auch Kay und Yoel gut getan, die ebenfalls hart trainiert haben. Es mag so einfach daher gesagt tönen, aber ich meine es wirklich so: Man sollte trainieren, als wäre man Weltmeister, auch wenn man es nicht ist. Als ich in Japan diesen Sommer einen Athletenkollegen getroffen habe, hat er mir aus der Seele gesprochen, als er sagte: "We Japanese love hard work". Zudem hatte ich ja stets ein grosses Ziel, von dem ich wusste, dass das nicht jeder erreichen kann. Ziele, die jeder erreichen kann, haben für mich keinen besonderen Reiz.

Lisa, du hast mit 9 Jahren mit Wushu begonnen. Was hat dir persönlich Wushu rückblickend gebracht und warum gefällt dir Wushu?
Lisa: Ich glaube, viel hat Jehmsei schon gesagt. Es liegt aber auch in der Erfahrung, etwas sehr lange und intensiv gemacht zu haben. Das beeindruckt immer alle und ich bekam stets positive Rückmeldungen dazu. Ich kann auch viele Dinge, gerade im Sportunterricht an der PH, sehr gut gebrauchen und auch mal aus eigener Erfahrung eine konträre Meinung vertreten, zu dem, was uns dort an der PH beigebracht wird. Dazu kommt, dass mir Wushu von Beginn an lag und naja, was einem liegt und was man gut kann - ich bekam von den Trainern immer viel Positives zu hören - ist natürlich eine ideale Kombination. Da kommt mir noch Folgendes in den Sinn: Im Unterricht an der PH mussten wir kürzlich im Turnen eine Choreographie zusammenstellen und ich begann sie mit einem freien Rad. Das ist schon schön, wenn man das einfach so kann. Für mich ist klar: Wenn ich an der PH weiter studiere bis zum Master, wird Sport eines der beiden Fächer sein, welches ich belege. Da würde sich dann später für die erste Anstellung meine sportliche Laufbahn wohl auch in der Bewerbung gut machen.

Ich weiss noch, dass wir Trainer uns bei dir trotz aller Erfolge mal fragten, ob du je dein ganzes enormes Potenzial würdest abrufen können. Irgendwann, es muss wohl so um dein 17. Altersjahr herum gewesen sein, hast du dann aber - von Unpässlichkeiten abgesehen - eine ausgezeichnete Trainingsmoral an den Tag zu legen und viel Selbständigkeit zu zeigen begonnen. Hast du das auch so erlebt und kannst du dir diesen Wandel noch erklären? Hängt es "nur" mit der zunehmenden Reife zusammen oder gibt es andere Gründe?
Lisa:
Zum einen mag es schon auch mit der Reife zu tun haben, also rein mit dem Älterwerden. Aber zum andern war es bei mir wohl auch eine Frage des Selbstbewusstseins, was einfach auch Zeit brauchte, sich zu entwickeln. Erst dann begann ich, mich auch im Training im Spiegel (sprich: Fenster) zu betrachten und meine Bewegungen so zu üben. Da erst machte ich mir auch selber Gedanken zu meinem Training, wurde also selbständiger. Zudem hatte ich mit Jehmsei einen guten Trainingspartner, der mich an den Turnieren super unterstützt hat. Er sagte mir nicht Dinge wie "mach es so gut, wie du kannst", echt, solche Dinge haben wir als Athletinnen von swisswushu gehört. So etwas hat gerade mir natürlich überhaupt nicht weiter geholfen. Heute bin ich selber so weit, dass ich einer Athletin sage, "los, geh ans Fenster und schau deine Bewegungen an".
Anm. der Redaktion: Da haben wir dann alle herzhaft gelacht.
Dieses Selbstvertrauen kriegt meiner Ansicht nach auch jemand, der nicht herausragen und keine Medaillen gewinnen konnte. Wichtig ist, dass er/sie einfach lange dabei war und in dieser Zeit gut trainierte.

Jehmsei, du unterrichtest schon seit einigen Jahren eine Fördergruppe bei uns. Was braucht es, um national an die Spitze zu kommen und international wenigstens europäisch einigermassen mithalten zu können?
Jehmsei: Ich glaube, da kann man relativ systematisch vorgehen. Als erstes muss man das Ziel haben, national an die Spitze zu kommen. Sonst ist eh alles andere nicht zu erreichen. Dann muss man wissen, wie eine Note zustande kommt und zielgerichtet daraufhin arbeiten. Gerade die A-Note erfordert ein ständiges Wiederholen der verschiedenen Positionen und Pflichtteile. Ein xubu oder ein gongbu dürfen einfach keine Diskussionen auslösen. Sie müssen von der geforderten Qualität sein. Immer. Danach kommen die Nandus, also die Schwierigkeitsgrade, welche intensives Trainieren erfordern. Wenn dann A- und C-Note stimmen - und dort sind die Kriterien ja klar und die Resultate insofern messbar - dann ist in aller Regel auch die B-Note gut. Ich denke, als guter Athlet muss man ein Stück weit visionär sein, das Extreme denken. Ich sage jeweils 'höher, grösser, tiefer'. Jeder sieht ja, wo seine Fehler liegen und er muss bereit sein, diese Fehler selber auszumerzen. Dann ist aber auch das Mentale wichtig, woran meiner Meinung nach viele, wenn nicht die meisten, scheitern. Man muss verbissen trainieren und wenn man etwas wirklich erreichen will, dann muss man irgendwann beginnen, gewisse Dinge diesen Zielen zu unterordnen.

Ich bedanke mich bei Lisa und Jehmsei für dieses sehr interessante Interview und die Zeit, die sie dafür und für die Fotos geopfert haben.